Die Stärkung des Immunsystems und der Lunge

Ein kurzer Blick zu den Pionieren der Infektionsforschung

Bei seinem Nobelpreis-Vortrag im Jahr 1905 sagte Robert Koch zum Beziehungsverhältnis von Krankheitserreger und Menschen: „Das Bakterium ist nichts, der Wirt [der Mensch] ist Alles [Der Mensch bestimmt den Infektionsverlauf].“ Der Arzt und Infektiologe Louis Pasteur kam zu einem ähnlichen Ergebnis: „Die Mikrobe ist nichts, das Milieu [der Ort, in dem sich der Erreger aufhält] ist Alles.“ Der Umweltmediziner Max von Pettenkofer trank im Jahr 1892 öffentlich eine Flüssigkeit mit Cholerabazillen … und blieb gesund. 1) Auf welche Zusammenhänge wollten die Forscher damit aufmerksam machen ?

Bezogen auf eine Erregersituation mit Viren kann das heißen: Der individuelle Mensch mit seinem spezifischen Immunsystem hat Einfluss darauf, ob und wie ein Virus bei ihm selbst wirkt, also ob es überhaupt zu einer Infektion und ob es bei einer hohen Viruslast im weiteren Verlauf zu einer Erkrankung mit Symptomen kommt. Der Mensch kann damit effektiv mehr tun, als Infektionen im Äußeren zu vermeiden. Der Mensch als Wirt kann sein Milieu und seine Konstitution selbstaktiv so stärken, dass z.B. ein Virus eine geringere Grundlage zur Vermehrung und damit zur Krankheitsverursachung vorfindet.

Aus der Sicht des Yoga lässt sich das Immunsystem des Menschen auf verschiedenen Ebenen selbst­­­aktiv stärken. Mit diesem Beitrag möchte ich dazu einige Ideen geben und zum Nachdenken anregen.


Immunstärkende Ansätze in westlichen und östlichen Kulturen

Das Wort Immun kommt von lat. immunis, was sich mit ‚unberührt, frei und rein‘ übersetzen lässt (Wikipedia). So lässt sich sagen, dass das Immunsystem eine Instanz ist, die Integrität, Unberührtheit und im gewissen Sinne die Freiheit des Menschen fördert. Oder anders formuliert: die Freiheit von „fremden Einflüssen“ fördert. Für diese bedeutende Aufgabe ist das Immunsystem zuallererst ein Wahrnehmungsorgan, denn es muss lebenswichtige Stoffe, wie z.B. Eiweiße, von schädigenden Erregern, wie z.B. Viren, unterscheiden. Es ist somit ein Wahrnehmungs-, Integrations- und ein Abwehrsystem. 

Es gibt heute das Fachgebiet der Psycho-Neuro-Immunologie, welches die Wirkung der psychischen Konstitution auf das Immunsystem untersucht. Es ist bewiesen, dass Sorgen und Ängste die Immunität schwächen und eine ausgeglichene Psyche die Immunkompetenz förderlich beeinflusst.

In der Yogalehre finden sich Angaben, dass der Mensch kraft seiner Persönlichkeit (Selbstkraft) seine Psyche ordnen und kräftigen kann, … dass daraus seine feineren Lebenskräfte (Prana, Qi) einen Aufbau erfahren … und dass schließlich auf der physischen Ebene in Folge der psychischen Stärkung die Immun-Konstitution im Körper einen Aufbau erfährt. Mit ein paar praktischen Übungen möchte ich diese Wirkungskette der menschlichen Immunkompetenz aufzeigen …

Verschiedene Ebenen, das Immunsystem und die Lunge zu stärken

  1. Die Stärkung der körperlichen Ebene

In diesem Abschnitt werden einige, wichtige Aspekte der körper­lichen Stärkung genannt. Das obige Bild von Baum und Lungenorgan soll erinnern, wie die Fotosynthese der Bäume mit der Atmung des Menschen in funktionaler Beziehung zueinander stehen. Sie stehen in einem lebensspendenden Austausch.

So sind, ganz praktisch, aktive Bewegungen an frischer Luft, insbesondere im Wald, stärkend für das Lebensmilieu der Bronchien und der beiden Lungen-Flügel.

Als Yogafolge eignet sich für ein belebendes Aus- und Einatmen die Folge des Sonnengebetes. Je nach körperlichen Möglichkeiten eignet sich eine kurze oder die klassische Folge mit 12 Übungen. Bei der Ausführung des stehenden Halbmondes (siehe Foto), der beim Sonnengebet 2x vorkommt, ist hier besonders die Anhebung des Brustkorbes und damit die aktive Öffnung der beiden Lungen-„Flügel“ hoch in den luftigen Raum betont. Mit dem Sonnengebet werden Atemrhythmus und die Vitalfunktionen der Lunge gestärkt.

Erwähnenswert sind aus dem Bereich der Ernährung u.a. die Bitterstoffe in Kräutern, Gemüse und Obst. Bitterstoffe unterstützen die Kraft der Verdauung und damit die immunfördernde Wärmebildung im Organismus (im Wort „Erkältung“ steckt die „Kälte“). Sie wirken zudem zusammenziehend und helfen entzünd­liche, auflösende Prozesse in den Schleimhäuten auszuheilen.

Es lässt sich beobachten, dass die Lunge im geschwächten Zustand die Tendenz hat, in der Atmung flacher zu werden. Bildhaft gesprochen reduziert sich der gesunden Atem-Kontakt nach außen und die Lunge fällt gewissermaßen etwas nach innen, in sich selbst zurück.
Über eine Sinnesanregung von farbenfrohen Citrusfrüchten und ihres sauren Vitamin C’s können die Lebensfunktionen der Lunge neu belebt werden. Der stimulierende Sinnesreiz regt die Atmung auf feine, indirekte Weise an. Die Atmung findet so wieder besser in den gesunden, zirkulierenden Kontakt mit der Außenwelt.

Für die Stärkung des Immunsystems ist die Berührung der Haut mit dem Sonnenlicht von Bedeutung. Das damit gebildete Vitamin D wird für die Bildung von Abwehrzellen gebraucht.

2. Stärkung der innere Lebenskräfte (Prana, Qi, Ätherkräfte)

Die Ebene der Lebenskräfte liegt tiefer und verborgener und ist vor allem durch die östlichen Lebens- und Gesundheitslehren bei uns im Westen bekannt geworden (z.B. Yoga, Ayurveda, TCM, Qi-Gong). Jeder Mensch kann lernen, die Ebene der Lebenskräfte real wahrzunehmen. Über ein bildhaftes Beobachten und Vorstellen lässt sich im Laufe der Zeit durch geduldiges Studium und Übung eine zuverlässige und reproduzierbare Wahr­nehmung feinerer Lebensprozesse aufbauen. Es können sich neue, feinere Sinnesorgane heranbilden. 2)

Schauen wir nochmals auf die Lunge. Die Lunge ist ein Organ, welches unmittelbar über Aus- und Einatem mit dem uns umgebenen Luftraum in Beziehung steht. Mit den Lungenbläschen stehen sage und schreibe ca. 100 m2 Oberfläche in Beziehung zur Außenwelt.3)  Die Lunge ist, wie oben schon erwähnt, ein Beziehungs- und Kontaktorgan. Für ihre Funktionstüchtigkeit braucht sie diesen lebendigen Austausch nach außen, zur Luft und damit zur Natur und zu den Mitmenschen.

Eine Entzündung in den Atemwegen oder der Lunge durch einen Erreger bedeutet, dass man nicht mehr gut atmen kann und damit die kontaktfreudige Beziehung zur Außenwelt reduziert ist. Die Lebenskräfte sind geschwächt. Wenn der Mensch jedoch mit angemessener Behandlung, mit Ruhe und Geduld durch eine solche Infektion hindurch geht, kann sich in aller Regel das Milieu der Lunge erholen und sogar eine Stärkung erfahren. In der Natur-Heilkunde ist es bekannt, dass durchwär­mende Anwendungen (z.B. Bäder) sowie eine Wärme-Reaktion des Immunsystems (Fieber in ange­messener Höhe und Zeitdauer) günstig sind und dem Menschen in der Folge zu mehr Stärke in seiner Immunkompetenz und Persönlichkeit verhelfen. 4)

Eine Übung aus dem Yoga, die die Lebenskraft der Mitte – den Herz-, Lungenraum – stärkt, ist die Asana: Baum

Bei der Ausführung ist zuerst die sanft nach oben strebende Brust­wirbelsäule von Bedeutung. Die Position vom angewinkel­ten Bein kann vereinfacht werden. Gelingt diese Umsetzung mit einem relativ freien Atem, also ohne Stocken, kann das Bild des Baumes im übertra­genen Sinn hinzukommen. Jedoch nicht versuchen, sich vorzustellen wie die Füße Wurzeln schlagen – das ist hier sogar hinderlich – sondern das Bild ruhig entstehen lassen, wie man selbst achtsam stehend, mit der Umgebung – über den Atem – in Beziehung steht (siehe Foto). Während der Ausführung sollte das körperliche Schwanken und Ausbalancieren ruhig und gelassen beobachtet werden. Diese Übung kann insbesondere in der Natur an frischer Luft das Lungenorgan heilsam in seinen inneren Lebenskräften anheben.

3. Immunstärkung der Seele – Aufbau von psychischer Immunität

Gibt es überhaupt eine psychische Immunität ?  Ja, die gibt es. In dem Begriff der Resilienz, in der psychischen Widerstandsfähigkeit, lässt sich eine Parallele zu der Widerstandfähigkeit des Immunsystems vermuten. 5) Die psychische Immunität hat mehrere Säulen. Z.B. ist das ruhige – mit Gedanken unterstützte – Aufmerksamsein eine wichtige Säule. Diese mentale Aktivität ist für die psychische Stabilität und die „Wachheit“ des Immunsystems von tragender Bedeutung.

Eine dafür geeignete Übung ist die bewusste Beobachtung der Natur mit ruhigen und konkreten Gedanken. Empfohlene Zeitdauer: ca. 10 Min.

Man suche sich eine Pflanze oder einen Baum und gehe bewusst an der äußeren Form und an Einzelheiten, wie z.B. den Farbnuancen, entlang und präge sich diese ein. Mit geschlossenen Augen stelle man sich für ca. 3 Min. die gewonnenen Eindrücke innerlich und bildhaft vor. In einem zweiten Schritt nehme man sich besondere Eigenschaften oder Heilwirkungen der Pflanze (ggf. vorher nachschlagen) zu dem äußeren Bild hinzu und beobachte wieder für ca. 3 Min. in ruhiger, gedanklicher Aufmerksamkeit sein pflanzliches Gegenüber. Wichtiger Teil der Übung ist es, sich dabei von Bewertungen und vorschnell gefassten Analogien bestmöglichst freizumachen.

Ein Beispiel:

Das Johanneskraut wächst zur Zeit der Sommer-Sonnen-Wende (Johanni). Es zeigt eine Besonderheit im Aufbau der Blüten. Es sind fünf Blütenblätter, die eine Drehrichtung aufweisen. Schaut man auf mehrere Blüten so lässt sich feststellen, dass es links- und rechts­drehende Blüten gibt. Das ist im Pflanzenreich selten. Es scheint sogar so zu sein, dass eine Pflanze ca. die gleiche Anzahl von links- und rechtsdrehenden Blüten entfaltet. Naturheilkundler erkennen in dieser Eigenschaft die Ausgewogenheit, die Mitte zwischen den Gegensätzen … und das Blühen in der Jahres­zeit, in der die Sonne am höchsten steht, als eine Eigenschaft, die mit den lebensfreudigen Wärme- und Lichtkräften der Sonne in Bezie­hung steht. Das Johanniskraut ist eine Heilpflanze, die zur Stimmungs­aufhellung und psychischen Balance in der Naturheilkunde ihre Anwendung findet. 6)

Ein differenziertes Wahrnehmen einer Sache oder eines Umstandes ermöglicht – geduldige Übung vorausgesetzt – einen unbefangeneren Blick „hinter die Kulissen“. Oder in anderen Worten: Man tastet sich mit neuen Sinnesorganen langsam an jenes objektivere und weisheitsvolle „Sein“ heran, das jedem Ding in der Tiefe zugrunde liegt. Dies ist eine Anschauung aus der Philosophie und dem ganzheitlichen Menschenbild des Yoga.

Das Beispiel mit dem Johanniskraut soll zeigen, wie sich der Mensch eigenaktiv seine psychische Immunität durch eine bewusste Vorstellungsbildung stärken kann. Er wird mit dieser konzentrierten Vorgehensweise über die Zeit hinweg bewusster, achtsamer sowie unabhängiger und freier gegenüber den äußeren Lebensumständen. Er kann so Schädliches von Gesundem leichter unterscheiden … er schult seine Immunkompetenz.

Die auf eine Sache zugehende und vertiefende, gedankliche Regsamkeit schult die eigene Urteilsfähigkeit. Sie regt von innen heraus die feineren Lebenskräfte an und stärkt in der Folge die Funktion des körperlichen Immunsystems.

Stefan Jammer – Yogalehrer, Eningen, den 27. Oktober 2020 – www.yoganatur-reutlingen.de

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Quellenangaben:

1) Dr. med. Ellis Huber – Soziale Gesundheit und Lebenswelten, PDF: _Corona_24.10.2020_Teil_IIIb, Seite 4
> https://www.praeventologe.de/hauptbeitraege-nicht-loeschen/1380-informationen-zu-corona

2) Heinz Grill – Übungen für die Seele / Die Entwicklung eines reichhaltigen Gefühlslebens und das Erlangen erster übersinnlicher Erkenntnisse, 2017, Synergia-Verlag CH

3) Interessante Infos zur Lunge:
> https://www.planet-wissen.de/natur/anatomie_des_menschen/lunge/lunge100.html

4) Dr. med. Andres Bircher: Immunstärkende Anwendungen in der Naturheilkunde
> (Das YouTube Video ist leider nicht mehr verfügbar)

5) Resilienz: Psychische Widerstandsfähigkeit
> https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie)

6) Roger Kalbermatten – Wesen und Signatur der Heilpflanzen, 2002, Johanniskraut, Seite 81

Im Anhang finden Sie das neue Download PDF dazu.

Foto Lungenflügel: © fotolia.com  |  andere Fotos: © Stefan Jammer